Innovativ und näher am Kunden – wie Unternehmen in Baden-Württemberg mit dem Lastenrad aufsatteln
8. Oktober.
Pressepaket Lastenrad
Lastenräder boomen. Vor allem im gewerblichen Bereich. Für das nachfolgende Feature hat die Initiative RadKULTUR drei Unternehmen in Baden-Württemberg begleitet, in denen das Lastenrad mit viel Freude und originellen Transportideen zum Einsatz kommt.
Wenn Andreas Sieber morgens, dort wo auf der Flurablage normalerweise der Akku für das Lastenrad liegt, ins Leere greift, weiß er: Seine Frau ist schon vorgefahren und liefert die erste Bestellung aus. „Das passiert häufig“, scherzt Sieber, „meine Frau ist eigentlich keine große Radfahrerin. Doch vom Lastenrad war sie sofort begeistert.“ Andreas und Martina Sieber betreiben ein Reformhaus in Marbach am Neckar. Das Lastenrad nutzen sie täglich, nicht nur für Lieferdienste, auch für sperrige Transporte. „Einmal in der Woche bringen wir mit dem Rad unsere Umverpackungen zu einem Fachbetrieb. Die Pappe wird dort verwertet und wieder dem Kreislauf zugeführt. Eine Ladung hat zwischen 30 und 40 Kilogramm. 2019 sind wir also in Summe auf über eine Tonne Kartonage gekommen.“
Eine neue Form der Mobilität
So wie Familie Sieber haben in den letzten Jahren viele Unternehmen in Baden-Württemberg das Lastenrad für sich entdeckt – kleine, mittelständige und große Firmen, Freiberuflerinnen und Freiberufler. Lastenräder für den gewerblichen Einsatz boomen nicht ohne Grund: Die Vielfalt an Lastenrad-Modellen und Zusatzfunktionen wie spezielle Boxen oder Aufbauten ermöglichen es, individuelle Transport- und Beförderungsbedürfnisse zu bedienen. Die Unternehmen setzen auf eine neue Form der Mobilität, die vor allem durch Kundennähe punkten kann. Denn wer mit einem Lastenrad unterwegs ist, profitiert von den üblichen Vorteilen des Radfahrens wie etwa dem Befahren der letzten Meile oder unkompliziertem Parken. Beim Klimaschutz und bei der nachhaltigen Transformation der Wirtschaft können Lastenräder deshalb eine wichtige Rolle spielen.
Das Lastenrad in der Kfz-Werkstatt
Was schon heute beim Blick auf die Unternehmen überrascht, ist der innovative Einsatz von Lastenrädern in allen Branchen – auch dort, wo man sie nicht sofort vermutet. Etwa bei Martin Gärtner, der eine Kfz-Werkstatt in Waiblingen-Neustadt betreibt und mit seiner unkonventionellen Lastenrad-Nutzung schon für viele staunende Blicke gesorgt hat. „Es kommt öfter vor, dass uns Kunden aus dem Ort anrufen, weil die Auto-Batterie leer ist. Dann schnappen wir das Lastenrad, packen Werkzeug und eine neue Batterie in die Transportbox und fahren so zum Wechsel. Das ist für uns am unkompliziertesten. Beim ersten Mal wurden wir ein wenig belächelt, ‚was will der denn da?‘ – doch dann staunen die meisten, weil wir alles ganz einfach mit dem Lastenrad abwickeln können.“ Doch für Gärtner bietet das Radfahren nicht nur Flexibilität am Arbeitsplatz, sondern auch einen willkommenen Ausgleich zum Alltag in der Werkstatt: „Wir sind hier den ganzen Tag in der Garage am Tüfteln, da ist es schön, mal mit dem Rad rauszukommen und die Pedale in Gang zu setzen.“ So wie Gärtner geht es den meisten Menschen, die einmal mit einem Lastenrad gefahren sind. Dies bestätigt auch eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts „Ich entlaste Städte“, bei dem bundesweit mehrere hundert Unternehmen Lastenräder testen durften: Für mehr als 98 Prozent der zurück gelegten Fahrten würden die Testpersonen erneut das Lastenrad nutzen wollen.(Quelle) Die Folgerung: Lastenradfahren ist nicht nur sinnvoll, sondern macht auch Spaß.
Flexibilität und Teilhabe für alle Mitarbeitenden
Für Unternehmen ist die Entscheidung für eine Lastenradnutzung daher auch eine nachhaltige Investition in die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeitenden. Fahrradfahren entschleunigt – und schafft somit den Raum für ein fokussiertes und stressfreies Arbeiten. Auch Hans-Jörg Boltjes aus Magstadt hat dies erkannt. Er realisiert mit seinem Familienunternehmen technische Anlagen für Kunden in 48 Ländern. Seinen Mitarbeitenden stellt er Dienstfahrräder zur Verfügung – darunter auch zwei Lastenräder. „Wir haben mittlerweile einen ganzen Fuhrpark vor dem Eingang stehen. Das ist ein Hingucker. Einmal hatten wir Kunden aus Schweden bei uns, die fanden das richtig gut.“ Die Lastenräder in Boltjes‘ Firma können von allen Mitarbeitenden für verschiedene betriebliche Einsatzzwecke genutzt werden – etwa für Botengänge, die Beschaffung von gemeinsamem Mittagessen oder die Entsorgung von Abfall auf dem Wertstoffhof. Mehr als die Hälfte dieser Wege würden demnach laut Boltjes mit dem Lastenrad getätigt. „Wir können im Arbeitsalltag viel flexibler agieren, denn mit dem Fahrrad kommen wir hier in der Umgebung einfach und schnell an unser Ziel. Die Angestellten finden das toll. Außerdem können alle das Angebot nutzen, es braucht ja keine besonderen Voraussetzungen. Nur ein, zwei Testrunden auf dem Firmengelände zum Gewöhnen.“
Schneller, näher und vor allem günstiger beim Kunden
Was Hans-Jörg Boltjes am Lastenrad am meisten überzeugt, ist die mühelose Transportmöglichkeit von Arbeitsmaterialien, etwa für Außentermine. „Laptop, Akten, Messinstrumente – da kommt man schnell auf 10 bis 15 Kilogramm. Mit dem Lastenrad ein Kinderspiel.“ Unternehmen profitieren dabei gleich in mehrerlei Hinsicht von einer Lastenradnutzung im Arbeitsalltag: Flexibilität auf kurzen Strecken, bessere Planbarkeit und direkte Erreichbarkeit der Kunden. Denn in der Regel kann der Einsatzort unmittelbar angefahren werden. Das findet auch Andreas Sieber vom Marbacher Reformhaus: „Lastenradfahren bedeutet gerade zu Stoßzeiten einen echten Zeitvorteil. Ein Auto steht in der Garage, man muss es rausholen, einen Parkplatz suchen – innerstädtisch ist die Fahrt mit dem Lastenrad deutlich entspannter. Für unseren Lieferservice ist das ideal.“ In den letzten Monaten habe ihr Lieferdienst innerhalb Marbachs Corona-bedingt geboomt, erzählt Sieber. Die meisten Auslieferungen seien dabei mit dem Lastenrad getätigt worden. Laut Sieber zahle sich das vor allem auch finanziell aus. „Früher haben wir für Lieferdienst und Warentransport ein Auto verwendet, das relativ oft kaputtging – bis wir irgendwann einmal nachgeschaut haben, wie viel Geld wir in einem Jahr in die Reparaturkosten stecken. Es waren immer nur Kleinigkeiten, aber in Summe haben wir pro Jahr tausend Euro für die Werkstatt ausgegeben. Zusätzlich zu den anderen Fixkosten wie Versicherung und Sprit kostet uns das Lastenrad nur einen Bruchteil davon.“
Nachhaltige Transportwege
Umsteigen lohnt sich also. Laut einer Studie aus dem Jahr 2016 könnten bis zu einem Viertel aller Fahrten im Wirtschaftsverkehr auf Lastenräder verlagert werden. (Quelle: BMVI Abschlussbericht „Untersuchung des Einsatzes von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr“ (WIV-RAD), 6. Mai 2016.)
Der Umstieg auf das Transportwunder würde sich für viele Unternehmen demnach nicht nur finanziell auszahlen – er wäre ein Gewinn für Umwelt und Klima. Dass nachhaltiger Warenverkehr funktioniert, machen Martina und Andreas Sieber im Kleinen vor. Mit dem Lastenrad beliefern sie nicht nur Kunden, sie besuchen damit auch ihre Lieferanten: „Wir arbeiten mit fünf Produzenten aus der Region zusammen, deren Produkte wir mit dem Lastenrad abholen – in einem Umkreis von 50 Kilometer um Marbach. Heute früh habe ich Kaffee in einer Rösterei in Heilbronn geholt. Die Produkte bekommen anschließend einen Aufkleber ‚Ich wurde mit dem Lastenrad transportiert‘. Die Aktion passt gut zu unserem Image und die Kunden finden es super.“
Ein Gewinn für alle
Auch für Kfz-Meister Martin Gärtner ist das Lastenrad der ideale Werbeträger – nicht nur für seine Werkstatt: „Ich wurde bereits von vielen Menschen auf das Rad angesprochen. Einige Familien in der Umgebung haben sogar mittlerweile ein Lastenrad, weil sie es bei mir gesehen haben.“ Der Einsatz von Lastenrädern im gewerblichen Bereich erfüllt damit auch einen gesellschaftlichen Dienst: Kommunen profitieren langfristig von Unternehmen, die am lokalen Wirtschaftsstandort eine Vorreiterrolle in puncto nachhaltigen Transports einnehmen. Schließlich bedeutet jede Lastenradfahrt eine Entlastung von Straßen- und Parkraum sowie eine Reduzierung von Schadstoff- und Lärmbelastung. Es ist ein Gewinn für alle. Das findet auch Andreas Sieber: „Radfahren ist so natürlich. Die Bewegungen und Abläufe sind im Kopf, man muss also nicht groß drüber nachdenken – und kann ganz nebenbei im Alltag die schönen Strecken hier durchs Bottwartal genießen. Was gibt es schöneres?“