Interview "Wenn der Urlaub vor der Haustür beginnt"
Stuttgart, im Februar 2018 | Die Weltenbummler Stephanie Huber und Andreas Starker brachen 2016 mit ihren Fahrrädern in der Nähe von Mannheim, der Heimatstadt des Fahrrads, auf, um alle Winkel der Welt zu erkunden. Im Interview mit der Initiative Rad-KULTUR verraten die beiden ihre Lieblingsziele und -routen, geben Tipps, was es bei der Planung zu beachten gibt, und erklären welche Ausrüstung man unterwegs wirklich braucht.
Initiative RadKULTUR: Das Fahrrad hat in den letzten beiden Jahrhunderten einen Siegeszug gefeiert. Was macht es aus Eurer Sicht so erfolgreich?
Stephanie Huber: Radfahren kann einfach jeder! Und das ganz umweltschonend ohne lästige Abgase und Lärm zu produzieren und außerdem noch kostengünstig. Anders als mit dem Flugzeug oder öffentlichen Verkehrsmitteln können wir mit dem Fahrrad selbst entscheiden, wohin und wann wir fahren, und dabei trotzdem weitere Distanzen als zu Fuß zurücklegen. Diese Art der Fortbewegung lässt eine viel intensivere Wahrnehmung der Umgebung zu.
Initiative RadKULTUR: Was macht für Euch eine gute Fahrradreise aus?
Stephanie Huber: Wir wollen Spaß beim Reisen haben und Neues entdecken. Der Reiz, morgens nicht zu wissen wo man abends schläft, macht es für uns spannend, egal ob im Ausland oder in der Heimat. Etwas Abenteuerlust gehört da dazu. Zu lange immer nur das Gleiche zu sehen ist aber auch langweilig, daher freuen wir uns immer wieder in neue Länder zu reisen und neue Kulturen kennen zu lernen. Auf unserer Strecke versuchen wir Regionen und Länder, die uns interessieren, miteinander zu verknüpfen. Es sind meist die unerwarteten Dinge, die eine gute Reise ausmachen. In Armenien haben wir uns vor einem starken Regen an einer Bushaltestelle untergestellt.
Zehn Minuten später saßen wir bei einem Kindergeburtstag und wurden mit Köstlichkeiten verpflegt.
Initiative RadKULTUR: Welche Erlebnisse von Euren Reisen bleiben für Euch unvergessen?
Andreas Starker: Die tollsten Erlebnisse sind die, die nicht geplant werden können, sie passieren einfach. So wie Einladungen unterwegs und die Begegnungen mit Menschen und Tieren. Durch unsere Räder kommen wir viel unkomplizierter mit Menschen in Kontakt und erfahren so mehr über das jeweilige Land oder die Gegend, in der wir uns gerade aufhalten. Wir sehen jede Menge Tiere, die nicht von Motorengeräuschen erschreckt werden und wegrennen. Außerdem können wir Landschaften viel intensiver genießen.
Initiative RadKULTUR: Was ist Euer Lieblingsziel?
Andreas Starker: Das ist schwer zu sagen, jede Gegend hat auf die ein oder andere Art und Weise ihren Reiz. Wir lieben die Berge und Wälder. Aber selbst in der Wüste finden sich immer wieder schöne Flecken. Auch wenn wir aktuell die Welt bereisen, in unseren Herzen ist und bleibt Deutschland unsere Heimat. Je weiter wir wegfahren, desto mehr bekommen wir Lust darauf, die Umgebung unserer Heimat näher zu erkunden.
Initiative RadKULTUR: Wie plant Ihr eine Fahrradreise? Was ist Euch dabei besonders wichtig?
Stephanie Huber: Umso länger wir unterwegs sind, desto weniger planen wir. Klar informieren wir uns etwas über das Land oder die Region, die wir bereisen wollen. Doch feste Pläne machen wir schon lange nicht mehr. Die meisten Pläne sind eh dazu da, um sie wieder zu ändern. Wichtig bei der Planung ist es, flexibel zu bleiben und sich ausreichend Spielraum für Änderungen zu lassen. So ist es möglich auf Gegebenheiten vor Ort zu reagieren.
Initiative RadKULTUR: Wie viel Zeit sollte man sich für eine Fahrradreise nehmen?
Andreas Starker: Das ist das Schöne am Radfahren, es gibt keine Grenzen. Ob eine Woche, mehrere Monate oder gar Jahre spielt keine Rolle, so wie es die Zeit eben erlaubt. Unsere erste Radreise ging um den Bodensee. Eine Woche ohne großes Gepäck. Von da an hat uns das Radreisefieber gepackt und wir sind immer wieder kleinere Touren gefahren. In 2011 ging es dann drei Monate über den Balkan bis nach Istanbul und wieder zurück. Seit 2016 sind wir jetzt auf Weltreise und nehmen uns bewusst die Zeit, die wir brauchen.
Initiative RadKULTUR: Welches Reiseziel eignet sich besonders gut für Einsteiger?
Stephanie Huber: Einfach mal vor die eigene Haustür schauen. Zu Beginn müssen es nicht gleich exotische Länder oder fernabgelegene Gegenden sein. Deutschland bietet ein großes Spektrum an Radwegen. Flussradwege wie zum Beispiel der Neckartal Radweg oder Rhein Radweg eignen sich prima für den Einstieg. Wem das nicht ausreicht, für den bietet das Europäische Radfernwegenetz die Möglichkeit, Europa zu erkunden. Klein anfangen und am Ball bleiben, lautet hier die Devise.
Initiative RadKULTUR: Welches Fahrrad fahrt Ihr? Eignet sich jedes Fahrrad für eine Fahrradreise?
Andreas Starker: Unsere Räder haben wir nach unseren Wünschen selbst zusammengestellt und aufgebaut. Prinzipiell eignet sich aber jedes Rad zum Radreisen. Unsere erste Tour um den Bodensee hat Steffi mit ihrem damaligen Mountainbike gemacht und ich mit meinem ersten Tourenrad, das ich gebraucht gekauft hatte, um damit zur Schule zu fahren. Es ist also nicht notwendig sich gleich ein neues Rad zu kaufen.
Initiative RadKULTUR: Hand aufs Herz: Wie wichtig ist körperliche Fitness?
Andreas Starker: Radfahren ist für Jedermann und -frau. Klar mit etwas körperlicher Fitness geht vieles einfacher. Die körperliche Fitness kommt mit der Zeit aber von ganz alleine. Deshalb ist es wichtig, es langsam anzugehen. Viel wichtiger als Kilometerzählen ist es, sich ausreichend Ruhepausen zu gönnen. Der Urlaub soll ja keine Hetzjagd werden, sondern Erholung.
Initiative RadKULTUR: Auf welche drei Dinge könnt Ihr auf Euren Reisen nicht verzichten?
Stephanie Huber: Erstens: Ein Fahrradhelm: Sicherheit geht vor. Wir haben einfach schon zu viele Unfälle gesehen und erlebt, die durch einen Helm noch einmal glimpflich verlaufen sind. Zweitens: Eine Werkzeugtasche: Diese bietet uns die nötige Unabhängigkeit, um auch abseits ausgetretener Pfade unterwegs zu sein. Zudem ist Andi ein Schrauber, der gerne selbst Hand anlegt. Und Drittens unsere Smartphones: Das erleichtert es, mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben, vor allem wenn wir wie aktuell länger weg sind. Auch wenn wir weiterhin auf eine klassische Kamera setzen, kann ein sehr gutes Smartphone auch zum Fotografieren genutzt werden, außerdem kann es die Navigation zum Beispiel in Städten erleichtern.
Initiative RadKULTUR: Wer den ganzen Tag im Sattel sitzt, braucht Energie: Auf was sollten Urlaubsradler bei ihren Mahlzeiten achten?
Andreas Starker: Es ist wichtig sich ausgewogen zu ernähren und auf ausreichend Flüssigkeitszufuhr zu achten. Dafür braucht es keine „super-duper“ Sportlernahrung. Viel wichtiger ist es, regelmäßig zu essen und vor allen Dingen zu trinken. Wenn der große Hunger oder Durst erst einmal da ist, ist es zu spät. Auch wenn es nicht immer möglich ist, versuchen wir auf frisches Obst und Gemüse zurückgreifen, das gerade Saison hat. So waren es zum Beispiel in der Türkei die Gurken und Tomaten, in Laos Bananen und in Thailand Mangos, die ganz oben auf unserem Speiseplan standen. So tun wir nicht nur etwas gegen den Hunger, sondern auch für den Flüssigkeitshaushalt.
Initiative RadKULTUR: Was ratet Ihr jemandem, der sich unsicher ist, ob eine Fahrradreise das Richtige für ihn ist?
Stephanie Huber: Rauf aufs Rad und ausprobieren. Nicht gleich aufgeben, wenn die ersten Kilometer oder Tage etwas schwierig sind, jeder Anfang ist schwer.
Initiative RadKULTUR: Was ist schwerer: Losfahren oder Wiederkommen?
Andreas Starker: Schwer zu sagen. Aktuell fühlen wir uns sehr wohl auf der Straße und an das Wiederkommen wollen wir noch nicht denken. Es war ein großer Schritt, aus unserer sehr eng gestrickten Gesellschaft auszubrechen und auf Reisen zu gehen. Ein mindestens genauso großer Schritt wird es sein wieder seinen Platz in dieser Gesellschaft zu behaupten. Doch wer nicht wagt hat schon verloren.